
"Beim Erschließen setze ich meine Träume und Vorstellungskraft in die Realität um. Es ist ein bisschen wie ein eigener, einzigartiger Sport. Wir können unser Spiel selbst erfinden und unser eigenes Spielfeld gestalten."
Was ziehst du vor, Routen zu klettern oder zu erschließen?
Ich würde das Erschließen vorziehen. Ich würde sogar sagen, ich bin ein großer Liebhaber dieser abenteuerlichen Tätigkeit. Neue, auch leichte Mehrseillängen-Touren zu eröffnen, wird mir immer ein großes Vergnügen sein. Wenn ich Routen wiederhole, die es schon gibt, spüre ich nicht denselben Entdeckergeist und das Abenteuer.
Warum hat diese Tätigkeit eine so große Bedeutung für dich?
Beim Erschließen setze ich meine Träume und Vorstellungskraft in die Realität um. Das ist eine große Chance. In vielen Bereichen ist es schwierig, sich die schönste Sache der Welt auszumalen und es dann tatsächlich auszuprobieren. Beim Klettern kann man das durch das Erschließen machen.
Mir gefällt außerdem, dass es beim Erschließen keinen Maßstab gibt. Es gibt keinen direkten Vergleich wie beim Klettern. Beim Klettern geht es immer auch um den Schwierigkeitsgrad, darum, ob die Bewertung hart ist, ob man in Form ist oder früher mal besser war. Auch wenn man an sich arbeitet, gibt es solche Situationen beim Klettern immer wieder.
Beim Erschließen ist das Schwierigkeitsniveau zweitrangig, denn es geht vor allem darum, eine wunderbare Linie zu finden, ihr zu folgen und die Sicherungen richtig zu setzen. Dabei ist man so konzentriert, dass man an nichts anderes denkt. Das ist meine Leidenschaft und eine Aktivität, die mich voll und ganz erfüllt und glücklich macht.
Wie lange brauchst du, um eine Route zu erschließen?
Zeit spielt dabei keine große Rolle. Denn wenn ich das tun kann, was meine Leidenschaft ist, würde ich nichts anderes lieber tun. Für eine Sportkletterroute in Céüse, wo der Fels sehr sauber ist, vielleicht drei bis sechs Stunden insgesamt. Aber wichtiger ist es, eine schöne Linie zu finden, die nicht zu nah an die anderen Routen heranführt. Und manchmal ist es auch besser, nochmal darüber nachzudenken und am nächsten Tag wiederzukommen.
Vor allem beim Erschließen von Mehrseillängen ist die Zeit kein wichtiger Faktor. Manchmal brauchen wir fünf Tage, manchmal acht oder neun. Ich mag es, die Arbeit in Ruhe und mit Sorgfalt zu machen. Keinen Maßstab zu haben bedeutet, dass ich mir Zeit lassen kann. Das ist ein schönes Gefühl der Freiheit.
Du unterrichtest Kletterer im Routen-Einbohren und gibst dein Wissen in Kursen weiter?
Ich versuche, meine Leidenschaft für das Erschließen an andere weiterzugeben, weil ich glaube, dass diese Tätigkeit essenziell für unseren Sport ist. Vor allem junge Kletterer sind es gewohnt, dass viele Routen einfach da sind. Aber die Kletterer werden besser und ohne die Erschließertätigkeit gibt es auch nichts Neues zu probieren.
Das Erschließen ist zunächst anstrengend und mit harter Arbeit verbunden. Es ist kein Training – im Gegenteil, man bekommt eher Rückenschmerzen davon. Aber wer einmal damit anfängt, wird vom Entdeckergeist gepackt und möchte nicht mehr aufhören. Es ist ein bisschen wie ein eigener, einzigartiger Sport. Wir können unser Spiel selbst erfinden und unser eigenes Spielfeld gestalten.
Darüber hinaus wird das Thema der Instandhaltung und Sanierung von Routen in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Viele Gebiete in Europa wurden vor etwa 25 bis 30 Jahren erschlossen, das ist lange her. Viele davon müssen saniert werden, dazu braucht es die Hilfe aller Kletterer.
Ich finde, dass alle Kletterer für die Pflege des Geländes verantwortlich sind. Ebenso sollte jeder fähig sein, die Qualität der Absicherung einzuschätzen. Die Selbstverantwortung ist Teil des Kletterns, denn es ist mehr als nur ein Sport.
Hast du das Gefühl, dass Erschließer genügend Anerkennung durch die Kletter-Community erhalten?
Wenn du nach Anerkennung strebst, dann ist das sicher nicht die beste Einstellung, um Routen einzubohren. Es muss dir wirklich gefallen. Wenn du die Tätigkeit liebst, dann wird das Ergebnis gut, weil du es für dich selbst perfekt machen willst.
Manchmal werden Routen zu schnell und auf eine fast industrielle Art einfach von links nach rechts in eine Wand eingebohrt, um eine Sportstätte zu schaffen und um sich selbst wichtig zu machen.
Dasselbe gibt es auch bei Mehrseillängen und im Alpinismus. Jeder möchte Erstbegehungen machen. Aber ich finde, es geht nicht darum, deinen Namen zu verewigen. Wenn ich eine Route eröffne, ist es für mich viel spannender, das Privileg zu haben, diesen Felsen zu entdecken und vielleicht die schönste Seillänge zu klettern, die ich je gefunden habe. Es gibt hier keinen anderen Maßstab.
Du bist viel gereist. Welches Klettergebiet war das beeindruckendste für dich?
Die Taipan Wall in Australien. Auch die Wand des Sektors Biographie in Céüse ist außergewöhnlich schön. Aber ich war noch nie in Smith Rock, das stelle ich mir auch beeindruckend vor, sehr vertikal und glatt. Taipan Wall in den Grampians in Australien ist eine wunderschöne, orangefarbene Wand. Und damit meine ich auch, dass sie sehr glatt und deshalb nicht voller Kletterrouten ist. Hier ist sehr viel Platz, ein wenig wie in Biographie.
Welche Zukunft siehst du für das Klettern und für Klettergärten?
Ich sehe der Zukunft sehr positiv entgegen. Immer mehr Kletterer interessieren sich auch für das Trad-Klettern und so werden immer neue Routen erschlossen. Man kehrt zum Abenteuer zurück, zur Kreativität und das ist gut so. Das Reisen wird einfacher und so wird man immer neue Gebiete entdecken.
Andererseits glaube ich auch, dass in der Sanierung von Routen sehr viel Potenzial liegt. Auch hier kann man kreativ werden, denn manchmal kann eine alte Route verbessert werden, indem die Spit neu gesetzt und die Linie leicht abgeändert wird, falls notwendig.
Hast du eine spezielle Beziehung zu den Routen, die du erschlossen hast? Bleiben sie dir in Erinnerung?
Bestimmte Erinnerungen bleiben. Interessanterweise erinnert man sich immer an ganz kleine Details. Erschließen ist eine Sache, aber dann klettere ich die Route. Ich erinnere mich dann an ein kleines Stück Fels, an eine Form, die ich zum ersten Mal berühre und dann wieder, an die kleine Blume beim Standplatz. So seltsam es ist, aber wenn ich später an diese Route denke, dann fallen mir diese ganz kleinen Dinge ein. Der ganze Prozess ist eine ganz spezielle Erfahrung der Sinne. Meine Frau Stéphanie und ich sagen deshalb, dass wir uns beim Klettern „auf das unendlich Kleine im unendlich Großen konzentrieren“. Das unendlich Große ist die Welt.
Ist es dir wichtig, einer Route einen Namen zu geben?
Nein, das ist mir nicht so wichtig. Aber eine Route, die zu einem weltbekannten Klassiker wird, sollte keinen Witznamen haben. Ich würde einer wunderschönen Route mit zehn Seillängen in einer abgelegenen, marokkanischen Schlucht keinen Namen wie „Big Boob“ geben. Wer so einen Namen wählt, der hat meiner Meinung nach die Erfahrung und die Beziehung zum Ort und zu den Menschen dort nicht schätzen gelernt. Es gefällt mir zum Beispiel, wenn der Name einen Bezug zum Ort hat, in dem sich die Route befindet.