
"Beim Klettern fühle ich, dass wir alle gleich sind. Letztendlich kann sich niemand der Schwerkraft widersetzen. Ich denke, dass alles im Leben von unserer Einstellung abhängt. Deshalb lautet meine Philosophie: Wenn du etwas erreichen willst, wird dich die ganze Welt dabei unterstützen."
Was gefällt dir am Klettern?
Das Klettern hat mich von Anfang an völlig in den Bann gezogen, weil es mir mehr Freiheit schenkte. Klettern ist wie Tanzen am Fels. Jeder tanzt nach seinen Fähigkeiten – genauso ist es auch beim Klettern. Es gibt nie nur den einen Weg, eine Route zu begehen. Am Klettern gefällt mir nicht nur die Tatsache, dass man seine Grenzen ausloten und überwinden kann. Ich fühle mich auch bei keiner anderen Tätigkeit so gleichwertig wie beim Klettern. Wir sind alle gleich. Niemand kann sich der Schwerkraft widersetzen. Andere Hierarchien gibt es nicht. Wenn du eine bestimmte Route klettern willst, musst du technisch entsprechend in Form sein – das gilt für alle gleich. Und das gefällt mir.
Wie bist du dazu gekommen, neue Routen einzubohren?
Ich habe in einer kleinen Gruppe mit dem Klettern angefangen. Da hatte ich einfach Glück, die richtigen Leute zu treffen. Umgekehrt war ich wahrscheinlich auch die Richtige für die Gruppe. Wir hatten einen Trainer, der uns auch das Erschließen beibrachte. Das hat mir so gut gefallen, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte. Wir fuhren an bisher unerschlossene Orte und fingen an, neue Routen einzubohren, und zwar immer vom Boden nach oben. So konnten wir nicht nur an bereits bestehende Routen anknüpfen, sondern auch der nächsten Generation etwas hinterlassen. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen – und abenteuerlich war es noch dazu.
Was würdest du den Erschließungsprozess beschreiben?
Einbohren ist kein Spaziergang, es ist mit harter Arbeit und Anstrengung verbunden. Der Prozess hat aber auch etwas sehr Dynamisches, und das mag ich. Eine Linie am Fels zu finden, vielleicht eine Spalte oder eine Griffabfolge – das ist für mich ein sehr kreativer Prozess. Manchmal springt einem schnell eine logische Linie ins Auge, andere Male muss man sehr genau hinschauen. Den Zweck der Route hat man dabei stets im Hinterkopf: Soll das eine Trad-Linie oder eine Linie für Sportkletterer werden? Geht es ums einmalige Durchsteigen oder will man eine Route erschließen, die später auch anderen dient? Falls ja, muss man sich überlegen, wie man einbohrt, damit die Route am Ende für alle sicher ist.
War es eine schwierige Entscheidung, dein Leben dem Klettern zu widmen?
Ich habe mich bewusst für das Kletterleben entschieden. Für iranische Verhältnisse war das schon eine sehr ungewöhnliche Entscheidung, nicht nur für mich als Frau, sondern generell für die Kletter-Community. Niemand wollte sein ganzes Leben dem Klettern widmen, so ganz ohne richtigen Job. Ein Leben nach gängiger Vorstellung hätte geheißen: Job, Haus, Familie. Ich wusste, dass ich mich auf ein Leben ohne regelmäßiges Einkommen und ohne Absicherung einlassen würde – ein riskanter Lebensstil. Ich habe das aber so akzeptiert und alles hinter mir gelassen. Das war ein großer Schritt, aber wer weiß schon, was morgen ist? Ich fing an zu reisen, gelegentlich zu arbeiten und ein sehr bescheidenes Leben zu führen.
Hattest du dabei auch mit Hindernissen oder Schwierigkeiten zu kämpfen?
Als ich angefangen habe zu klettern, stand ich völlig alleine da. Viele waren gegen mich, vor allem Frauen. Ich musste mich zwar nie körperlich zur Wehr setzen, aber mental war es ein harter Kampf. Als ich anfing, war die Kletter-Community sehr stark männlich geprägt, genauso wie der Iran. Die Regeln wurden von Männern bestimmt. Manchmal musste ich mir meine Position wirklich erst erkämpfen. Irgendwann wird man aber auch kampfesmüde. Man kann nicht seine ganze Energie nur auf das Kämpfen verschwenden. Man muss also einen Weg finden, mit schwierigen Situationen umzugehen. Für mich war es das Beste, einfach nicht hinzuhören und an meinem Weg festzuhalten.
Mit der Zeit wurde ich immer besser, ich kletterte höhere Schwierigkeitsgrade und fing an, viel zu reisen. Europäische Zeitschriften und Medien berichteten jetzt über meine Geschichte. Schließlich hat man sich auch im Iran für mich interessiert und ich wurde zu Vorträgen und Präsentationen eingeladen. Jene, die zunächst gegen meinen Lebensstil waren, sind jetzt in gewisser Hinsicht meine Fans geworden.
Hast du vor diesem Hintergrund eine besondere Botschaft für andere, insbesondere für Frauen im Iran?
Sich in die Mentalität anderer Länder einzudenken ist sehr schwierig. Ich denke nicht, dass ich wirklich eine Botschaft habe, auch nicht für die Frauen im Iran. Eine Erkenntnis möchte ich aufgrund meiner Erfahrung aber teilen – es ist nichts Frauen- oder Männerspezifisches, sondern bezieht sich auf das System im Allgemeinen: Von dem Moment an, an dem man sich für einen Weg entscheidet und anfängt das zu tun, was man wirklich will, muss man die Ohren auf Durchzug schalten und die Meinung anderer einfach abprallen lassen. Man muss dem Leben vertrauen. Ich denke, dass alles im Leben von unserer Einstellung und unseren Zielen abhängt. Deshalb lautet meine Philosophie: Wenn du etwas erreichen willst, wird dich die ganze Welt dabei unterstützen.